Budenheim.
(hs) – Das hätte sich der junge Bernhard Schmitt, aus Kiedrich im Rheingau stammend, bestimmt nicht träumen lassen, dass einmal sein Wirken in Budenheim eine solch fundamentale Form annehmen würde. Als Schmiede-Geselle auf Wanderschaft fand der junge Handwerker im Frühjahr 1795 in der Huf- und Wagenschmiede gegenüber der Budenheimer Gaststätte »Zum goldnen Ritter« in der Hauptstraße ein bleibendes Betätigungsfeld. Warum er nicht in der Gemeindeschmiede arbeitete, die zwischen dem heutigen Anwesen Rheinstraße 1 und der Kirchstraße gelegen war, ist nicht mehr nachvollziehbar. Fest steht, dass er sich nach Wanderjahren, die ihn nach Ingelheim und Heidesheim führten, in Budenheim selbstständig machte.
Zuerst betrieb er das Schmiedehandwerk als Ein-Mann-Unternehmen, gewiss kein leichtes Unterfangen, da die Gemeindeschmiede in Konkurrenz in Sichtweite gegenüber betrieben wurde. Entsprechend den Bedürfnissen der damaligen Zeit, bestanden die anfallenden Schmiedearbeiten in der Hauptsache im Anfertigen von Hufeisen und den dazugehörigen Nägeln. Hinzu kamen das Beschlagen von Pferden und das Überziehen der hölzernen Wagenräder der Pferdefuhrwerke mit handgeschmiedeten Metallreifen. Ganz sicher sind auch diverse Ackergeräte, Spaltwerkzeuge und Türbeschläge unter den dröhnenden Hammerschlägen rotglühend auf dem Amboss gefertigt worden.
Es erforderte einen ganzen Kerl, um mit den derben Werkzeugen am stetig glühenden Schmiedefeuer umzugehen. „Mit Gottvertrauen schlag mutig drein, Hammer sollst du, nicht Amboss sein", gemäß diesem Wahlspruch der Schmiedezunft erlernte auch Sohn Martin Schmitt das handwerkliche Geschick seines Vaters. Nach seiner Hochzeit mit Anna Maria Happ, der Tochter des Gemeindeschmiedes, führte Martin den väterlichen Betrieb im Jahre 1840 alleine weiter. Ein Nachweis seines handwerklichen Wirkens ist eine handgeschriebene Rechnung aus dem Jahr 1865 an die katholische Pfarrei Sankt Pankratius Budenheim, die im Archiv der Pfarrei zu finden ist. Damals hatte er schmiedeeiserne Teile für die im Bau befindliche Wendelinuskapelle gefertigt.
„Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen", so jedenfalls mutet es an, denn was der Großvater dem Sohn übertrug, setzte im Jahre 1870 Enkel Anton Schmitt fort. Inzwischen war im Jahre 1860 die Eisenbahnlinie Bingen-Mainz erbaut, die unmittelbar an der Schmitt'schen Schmiede vorbeiführte. Der Standort der Gemeindeschmiede jedoch fiel dem Bau der Schienentrasse zum Opfer. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie setzte sich auch in Budenheim die zunehmende Industrialisierung durch. Die Aufgabe des Huf- und Wagenschmiedes wandelte sich entsprechend, da die Pferdegespanne von den dampfenden Schienengefährten weitgehend verdrängt wurden.
Die Vielseitigkeit der Aufgabenstellung im Schmiedehandwerk machte den Enkel Anton Schmitt keineswegs arbeitslos. Wenn auch überliefert ist, dass dieser gar oft in der Gaststätte »Zum goldnen Ritter« anzutreffen war, so übertrug er, der Familientradition entsprechend, im Jahre 1910 die Schmiede an den Sohn Christian Schmitt, der 1917 in die Klosterstraße 5 übersiedelte. Die alte Schmiede, die hinter den jetzigen »Ritterstuben« gelegen war, existiert nicht mehr. Sie ist der Spitzhacke zum Opfer gefallen. In der Klosterstraße wandelte sich die Huf- und Wagenschmiede zu einem Schmiede- und Schlossereibetrieb. Viele Arbeiten in Budenheim zeugen von der Schmitt'schen Handwerkskunst. Dazu zählen schmiedeeiserne Einfahrtstore und schwungvoll getriebene Balkongeländer.
Auch Martin Schmitt sen. setzte die Familientradition fort und übernahm nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Jahr 1948 den väterlichen Betrieb. Christian Schmitt pflegte in seiner Freizeit den Chorgesang und leitete mit seinem Sohn Martin Schmitt jun. zusammen den Männergesangverein »Einigkeit«, bzw. ab 1947 die »Sängervereinigung 1860 Budenheim«, über einen Zeitraum von insgesamt 62 Jahren, als deren 1. Vorsitzende. Martin Schmitt sen. gehörte auch dem Budenheimer Gemeinderat an und zählte zu den Vätern der Städtepartnerschaft zwischen Eaubonne/Frankreich und Budenheim.
In den zurückliegenden Jahren, über vier Generationen hinweg, arbeiteten Väter und Söhne gemeinsam als reines Familienunternehmen, meist ohne fremde Hilfe. Das änderte sich mit dem Wirtschaftsaufschwung der 50er Jahre. Mit der zunehmenden Bautätigkeit in der Bundesrepublik vollzog sich gleichsam eine strukturelle Veränderung im Aufgabenbereich des Budenheimer Familienunternehmens. Die Erweiterung mit Schwerpunkt zur Bauschlosserei blieb unausweichlich, sie hatte auch eine personelle Vergrößerung des Betriebes zur Folge. Es zeichnete sich ab, dass die Werkstatträume in der Klosterstraße 5 längst den Auftragsanforderungen nicht mehr gewachsen waren. Der Schritt von der Bauschlosserei zum Stahlbaubetrieb war bereits vorgegeben. Dieser Entwicklung wurde mit einem Standortwechsel begegnet. Man zog im Juni 1971 in die neuerbauten Werkstätten im Gewerbegebiet »Auf der Bein« um. Martin Schmitt jun., der das Handwerk im väterlichen Betrieb erlernt hatte, übernahm als Meister in der sechsten Generation am 1. April 1978 den Familienbetrieb. Inzwischen wurden dort zwölf Mitarbeiter beschäftigt, um das spezifische Auftragsvolumen ausführen zu können.
Handwerkliche Schmiedearbeiten, von Hand ausgeführt, sind heute kaum noch bezahlbar. Man ist daher dazu übergegangen, auf industriell vorgefertigte Schmiedearbeiten zurückzugreifen, um diese dann kostengünstiger einsetzen zu können. Neben den Stahlbauarbeiten, oft von den Budenheimer Industriebetrieben in Auftrag gegeben, wurde jegliche Art von Schlosser- und Schmiedearbeiten ausgeführt.
Vor 230 Jahren war es der junge Bernhard Schmitt aus Kiedrich, der das feste Fundament für das Familienunternehmen gelegt hat. Mit Martin Schmitt jun. endete im Jahr 1998 vorerst die Familientradition, denn stets waren es die Söhne, die das väterliche Erbe antraten. Mit Tochter Maria wurde der Zyklus der Schmiede- und Schlossermeister unterbrochen; sie hatte sich für eine andere berufliche Zukunft entschieden. Der Name »Schmitt Stahlbau« sollte jedoch bestehen bleiben, dafür bürgte Metallbauhandwerksmeister Jochen Feller. Er leitete den Handwerksbetrieb ab dem 1. Februar 1998 weiter und wird im kommenden Jahr das Zepter am 1. Januar 2026 an den Metallbauhandwerksmeister Tobias Weil, Enkel von Martin Schmitt jun., übergeben. Damit setzt sich der Schmitt’sche Familienzyklus fort, der vor 230 Jahren im Jahr 1795 begonnen hatte. Derzeit verfügt der Handwerksbetrieb »Schmitt Stahlbau«, neben dem Inhaber bzw. Metallbauhandwerksmeister, über zwölf Schlosser und zwei Büroangestellte.
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