Gefahren des Extremismus erkennen und keine Chance geben

Sven Daniel und Lea Plavcic vom Landesamt für Verfassungsschutz Hessen referierten bei „Gespräche beim Wein“

Winfried Steinmacher, Peter Erkel, Lea Plavcic, Sven Daniel und Jochen Klein (v.l.n.r.).
Winfried Steinmacher, Peter Erkel, Lea Plavcic, Sven Daniel und Jochen Klein (v.l.n.r.).

 

„Der Kampf um die Köpfe – Wie Rechtsextremisten versuchen, über soziale Medien die Deutungshoheit zu gewinnen“ lautete das Thema einer weiteren Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe „Gespräche beim Wein“, zu der der SPD-Ortsverein Kiedrich am Dienstag vergangener Woche in das Bürgerhaus eingeladen hatte. Der Einladung waren knapp 40 Besucherinnen und Besucher gefolgt.

Vorsitzender Jochen Klein freute sich, als Referierende Sven Daniel, Leiter des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus (Korex) im Landesamt für Verfassungsschutz Hessen (LfV), und seine Mitarbeiterin, die Verfassungsschützerin Lea Plavcic, willkommen heißen zu können. Wie Daniel sagte, wurde Korex 2008 im LfV gegründet, um rechtsextremistischen Entwicklungen in Hessen frühzeitig begegnen zu können. Das Aufklärungs- und Präventionsangebot stehe unterschiedlichen Bedarfsträgern auf Anfrage kostenlos zur Verfügung.

In die Referate einleitend führte Klein aus, „dass der Rechtsextremismus aktuell die größte Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung darstellt.“ Dies belegen nicht nur rechtsextremistische Gewalttaten und Attentate. Auch die Mitte der Gesellschaft und insbesondere junge Menschen werden für rechtsextremistische Zielsetzungen angesprochen und sollen hierfür radikalisiert werden. So habe die Abgrenzung gegenüber Rechtsextremisten in den letzten Jahren spürbar nachgelassen und das Lebensalter radikalisierter Minderjähriger sei deutlich gesunken.

Rechtsextremisten berücksichtigen die zunehmende Verschiebung der Lebenswelt von (jungen) Menschen in die Sozialen Netzwerke, indem sie ihre Einflussnahme strategisch auf diese fokussieren. Dabei sei nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, dass hinter dem modernen Auftritt rechtsextremistische Influencerinnen und Influencer stehen.

Der Vortrag beleuchtete den rechtsextremistischen Kampf um die Köpfe von jungen Menschen in den Sozialen Medien, insbesondere auf der Plattform TikTok. Zudem stellte er dar, welche Strategien es zur Prävention gibt, beinhaltete Informationen zum Umgang mit rechtsextremistischen Sachverhalten und zeigte auf, an wen sich Betroffene wenden können.

Zur aktuellen Entwicklung der Radikalisierung von Minderjährigen führte Daniel aus, dass Korex im vergangenen Jahr eine stark angestiegene Nachfrage an Beratungsfällen und Präventionsmaßnahmen (insgesamt 120) im Schulkontext erhalten habe. In diesem Jahr seien bereits 160 Maßnahmen von Korex durchgeführt worden.

Die Tendenz, dass sich immer mehr Personen jüngeren Alters radikalisierten, sei steigend, „weil sie verwundbarer und risikobereiter sind“, so seine Begründung. Als Grund für die Radikalisierung Minderjähriger nannte er die Sozialen Medien, insbesondere TikTok. Wer diese Plattform nutze, werde süchtig, mit Auswirkungen auf die Entwicklung seines Gehirns. Eine der Folgen sei, dass Aufmerksamkeit und Beurteilungsvermögen nachlassen. „Und genau da“, so der Referent, „setzen Extremisten aus den bekannten Kreisen an“. Besonders besorgniserregend seien deren professionelle Strategien, die, oft unbemerkt, gezielt junge Menschen ansprechen.

Als Beispiel für Beweggründe individueller Radikalisierung nannte er einen 14-Jährigen. Dieser habe auf TikTok unter anderem gepostet: „Es ging um Likes, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Durch meine Handlungen auf TT bin ich selbstbewusster geworden und habe mich erwachsener gefühlt. Ich bin kein Rechtsextremist“. „Das ist schlicht“, betonte Daniel, „eine Verharmlosung“.

Die „Mitte-Studie“ 2022/2023 der Friedrich-Ebert-Stiftung, die rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen beleuchtet, komme zu dem Ergebnis, dass Rechtsextreme, Reichsbürger und Querdenker unter anderem in Elternvertretungen in Schulen und Kitas, in Sportvereinen, Feuerwehren und Katastrophenschutz aktiv geworden sind, um gegen Demokratie und ihre Gesellschaft mobil zu machen. „Das ist“, so der Referent, „ein alarmierendes Ergebnis“. Damit werde rechtsextremistische Metapolitik in die Tat umgesetzt.

Aktuell ist, erklärte Daniel, die „Neue Rechte“ rund um den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner und die „Identitäre Bewegung“ die größte Gefahr für die Demokratie. Die oft akademisch Gebildeten suchten bewusst den Weg in die Mitte der Gesellschaft und besetzten populäre Themen. Diese reichten von Kunst und Kultur bis zum Deutschrap und Gaming. Ganz bewusst nutzten sie Krisen aus. Nach Außen wirkten sie so, als hätten sie mit Nazis nichts zu tun, denn ihre Sprache ist unverfänglich und diskursfähig.

„Von rechtsextremistischen TikTok-Trends geht eine akute Gefahr aus“, erklärte die Verfassungsschützerin und legte den Schwerpunkt ihrer Ausführungen auf diese Plattform, auf der Rechtsextremisten gezielt über das Ansprechen von Gefühlen versuchten, Kinder und Jugendliche zu erreichen.

Die Postings auf der vor allem bei jungen Menschen beliebten chinesischen Kurzvideo-Plattform unterliegen, betonte sie, keinerlei Kontrolle. Einen Faktencheck gebe es nicht. Die Folge sei, dass man ungefiltert das bekommt, was man auch sehen möchte. Als Beispiel nannte sie einen jungen Mann. Dieser habe auf dieser Plattform gesehen, wie ein Mensch abgestochen wurde und diesen Vorgang als „ganz normal“ bezeichnet.

Auch sie wies darauf hin, dass die Nationalsozialisten unter anderem die „Volksempfänger“ (Radio) nutzten, um ihre Propaganda in möglichst viele Köpfe zu bringen. Heute setzte insbesondere die „Neue Rechte“ auf die digitale Welt. Neue rechte Jugendgruppen machten sich Plattformen, wie TikTok zunutze und suchten gezielt auf Sympathisanten.

Als Beispiele für niederschwellige Angebote über Telegram, WhatsApp, Instagram und andere Plattformen nannte sie unter anderem gemeinsame Wanderungen, bei denen vieles romantisiert werde und Rechtsextremismus mit Bezug auf Hitler in eine andere Erscheinungsform umgewandelt werde. Das berge die Gefahr einer schleichenden Ausweitung des Rechtsextremismus.

An zahlreichen Beispielen demonstrierte sie die Beeinflussung junger Menschen durch Influencerinnen und Influencer und Rapper, die viele Follower vorweisen können. Folglich seien viele Nutzer der sogenannten „Sozialen Medien“ der Auffassung, dass es doch nicht extremistisch ist, wenn so viele Menschen zustimmen.

Nach der sich anschließenden regen Fragerunde bezeichneten es die Referierenden als wichtig, die Medienkompetenz zu stärken, eine gute Bildung anzubieten und auf menschliche Bedürfnisse einzugehen. Ferner sich offen zu zeigen und Menschen, die sich von rechtsextremen Ideologien beeinflussen lassen, auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen offen zu reden. „Fragen Sie ihren Gesprächspartner, 'warum sagst Du das?', so ihre Empfehlung.

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