Bedingungsloses Grundeinkommen
"Wir wandeln nicht auf dünnem Eis, sondern wir schwimmen bereits", hatte der Geisenheimer Bürgermeister Christian Aßmann schon bei der Einbringung des Haushalts 2024 konstatiert. Inzwischen scheint die Finanzlage von Kreis und Kommunen eine bedenkliche Tauchtiefe erreicht zu haben. Ein kläglicher Rest von zwei Kommunen im Rheingau-Taunus-Kreis wird im kommenden Haushaltsjahr voraussichtlich noch schwarze Zahlen schreiben. Die gesamte übrige kommunale Ebene verzeichnet hohe Defizite. Tendenz: streng monoton fallend. Rein rechnerisch müsste Oestrich-Winkel den Hebesatz der Grundsteuer B im kommenden Jahr auf über 2.000 Punkte mehr als verdoppeln, um einen genehmigungsfähigen Haushalt zu erreichen. Bei Taunusstein, das noch etwas besser dasteht, wären es 1.900 Punkte. Das dürfte den Bürgerinnen und Bürgern kaum zu vermitteln sein.
Als Kostentreiber sind die Bereiche Personal und Kinderbetreuung längst identifiziert. Oestrich-Winkel steuert beispielsweise 11.000 Euro zur Kita-Betreuung bei – pro Platz und Jahr wohlgemerkt. Die Auferlegung von Aufgaben durch Bund und Land, ohne gleichzeitig für eine ausreichende Finanzausstattung zu sorgen, ist als einer der Hauptverantwortlichen für die Finanzmisere ebenfalls sattsam bekannt. Zumal die Defizite regelmäßig höher sind als die freiwilligen Leistungen, beispielsweise für Dorfgemeinschaftshäuser und die Vereinsförderung, ist das Einsparpotenzial überschaubar. Der Löwenanteil der Ausgaben (meist über 95 % der kommunalen Haushalte) muss für Pflichtleistungen aufgewendet werden. Dass die mangelnde Konnexität ("wer bestellt, bezahlt") nicht die einzige Problemzone ist, wurde am Rande der Haushaltseinbringung des Kreises deutlich. Landrat und Bürgermeister forderten unisono und in ungewöhnlicher Deutlichkeit geradezu disruptive Reformen, die von Bund und Land ausgehen müssten. Schuld sei nicht allein eine unzureichende Finanzierung, sondern auch die überbordende Bürokratie und die überkomplexe Antragstellung für Fördermittel. "Kontrolle ist gut, Vertrauen ist billiger", zitierte Landrat Zehner eine dänische Weisheit, und meint damit, dass Bund und Land den Kommunen lieber das Geld zur freien Verwendung überlassen sollten, als teure Förder- und Prüfverfahren durchzuführen. Die Kommunen könnten selbst am besten beurteilen, wie die Mittel sinnvoll einzusetzen sind. Ein solches bedingungsloses Grundeinkommen für die kommunale Ebene mag sinnvoll sein, birgt aber erheblichen Zündstoff und erfordert von den Kommunen, die finanziell auf Tauchstation sind, vermutlich einen langen Atem. "Das System ist so komplex, dass es nicht reformierbar ist", sagte Sandro Zehner (CDU), und seine Parteifreundin, die frisch gebackene Niedernhausener Bürgermeisterin Lucie Maier-Frutig, resümierte fatalistisch: "Wir sind am Ende, wir können uns nicht mehr selbst verwalten." Dabei steht viel mehr auf dem Spiel als Dorfgemeinschaftshäuser oder die Zuwendungen zu Vereinen und Veranstaltungen. Wenn die kommunale Ebene, der "Maschinenraum der Demokratie" (Ministerpräsident Boris Rhein), finanziell stranguliert und personell überfordert wird, sind ein zunehmender Vertrauensverlust in die kommunale Verwaltung und eine weitere Stärkung der politischen Ränder die Folge.
Auch wenn Zehner Signale empfangen hat, dass die Probleme der Kommunen in Berlin inzwischen gehört werden, bleibt die Hoffnung zunächst vage. Reicht die Zeit und der politische Wille für disruptive Reformen, bevor die Kommunen finanziell untergehen, die "Versteinerung des Haushalts" (Zehner) ein Dauerzustand bleibt und das Vertrauen in die Demokratie schwindet? Was Landrat Sandro Zehner und die Bürgermeister des Kreises als Lösungsweg skizzieren, ist nichts Geringeres als ein einschneidender kultureller Wandel auf allen Ebenen der Verwaltung. Und der scheint bitter nötig.
Helmut Mertes


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