Mittelstandsfreundlichkeit dringender denn je

Jahresempfang der Handwerkskammer Wiesbaden erwies sich als gesellschaftliches Ereignis

Auf dem Foto sind: Bernhard Mundschenk, Dr. Patricia Becher, Astrid Wallmann, Lucia Puttrich, Stefan Füll und Dr. Roman Poseck (v.l.).

Mit über 200 geladenen Gästen insbesondere aus Wirtschaft und Verbänden sowie aus Politik und Verwaltung erwies sich auch der Jahresempfang der Handwerkskammer Wiesbaden 2023 einmal mehr als ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis im Bereich dieser Kammer. Grußworte sprachen Landtagspräsidentin Astrid Wallmann, Bundes- und Europaministerin Lucia Puttrich und Sozialdezernentin Dr. Patricia Becher.

Nach der Begrüßung seiner Gäste wies Präsident Stefan Füll darauf hin, dass die Handwerkskammer Wiesbaden Dienstleister, Interessenvertreter und Selbstverwaltung für über 27.000 Betriebe ist, die rund 125.000 Mitarbeiter beschäftigen und 8.500 Lehrlinge ausbilden. Diese Zahlen belegten, „dass sich das Handwerk zu Recht als ‚Wirtschaftsmacht‘ von nebenan“ bezeichnet“.

Um die Wettbewerbsfähigkeit der innovativen und leistungsfähigen Handwerksbetriebe zu erhalten und zu stärken sowie die Arbeitsplätze zu sichern brauche es, weist er mit Blick auf die Landtagswahl am 8. Oktober hin, eine verlässliche mittelstands- und damit handwerksfreundliche Politik. Dazu habe die Kammer den im Hessischen Landtag vertretenen Parteien und der künftigen Landesregierung Forderungen und Erwartungen vorgelegt, von denen er zwei Aspekte näher beleuchtete.

Gerade kleine Betriebe sind, so der Präsident, überproportional von Bürokratie betroffen. Dabei stelle die Vielzahl an Dokumentations- und Berichtspflichten ein besonders großes Problem dar. Entgegen aller Beteuerungen komme die Reduzierung der Bürokratielasten nicht wirklich voran.

Hier sollte, betont er nachdrücklich, „die neue Landesregierung alle neuen Rechts- und Verwaltungsvorschriften mit einer konsequenten Mittelstandsauswirkungsklausel versehen und sich auch auf Bundesebene dafür einsetzen, dass neue bürokratische Belastungen und Dokumentationspflichten für kleine und mittelständige Unternehmen abgewehrt werden.

Dass wegen der Last der Bürokratie die Attraktivität des Handwerks und der Selbständigkeit auch im Hinblick auf die Gründung oder Übernahme eines Handwerksbetriebs sinke, belege eine aktuelle Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Immer mehr junge Handwerksmeister schreckten davor ab, sich selbständig zu machen, weil sie diese Belastungen als erdrückend empfinden.

Um für Handwerksmeister den Weg in eine attraktive Zukunft zu ebnen, sei es genauso wichtig, jungen Menschen eine Chance zu geben, Erfahrungen im Handwerk sammeln zu können. Dazu gehöre eine flächendeckende und schulformenübergreifende Berufsorientierung als Kernelement schulischer Bildungsgänge.

"Gerade die Anbieter gymnasialer Bildungsgänge im Hessen sind gefordert", so Füll, "die Berufsorientierung gleichwertig zur Studienorientierung zu etablieren, denn wie sollen Schüler das Handwerk erlernen, wenn es in den meisten Schulen nicht einmal das Fach Werken mehr gibt?“

Keine Wende ohne Hände

Die Präsenz des Handwerks in den Schulen sei daher maßgeblich, um dem Fachkräftemangel im Handwerk entgegenzuwirken. Nur mit exzellent ausgebildeten Fachkräften könne die Transformation der Wirtschaft sowie die Klima- und Verkehrswende realisiert werden. Dies bedeute auf den Punkt gebracht: „Keine Wende ohne Hände“.

Nach einer kurzen prägnanten Bewertung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage mit ihren Auswirkungen auch auf das Handwerk, wie unter anderem die steigenden Zinsen und die Krise in der Baubranche, wies Wallmann darauf hin, „dass Wirtschaft und Politik gemeinsam gefordert sind. Eine Krise biete immer wieder die Chance, alte Gewissheiten und Gewohnheiten zu überprüfen und sich auf neue Rahmenbedingungen einzustellen.

Als Landtagspräsidentin liege es nicht an ihr, die Forderungen des Handwerks zu bewerten. Stellvertretend für die Landtagsabgeordneten sage sie ausdrücklich, „dass wir alle den verstetigten Dialog zwischen Handwerk und Politik ausdrücklich begrüßen, denn er bildet die Grundlagen für mögliche Lösungen. Deshalb müsse der Dialog wechselseitig fortgesetzt werden. Das betreffe beispielsweise das Thema „Fachkräftemangel“.

Festzustellen sei, dass das Handwerk so krisenfest und so stark ist, wie lange nicht mehr. Sie habe keine Zweifel, „dass diese Erfolgsgeschichte auch in den nächsten Jahren fortgeschrieben wird“. Man müsse nur den Mut haben, die Herausforderungen anzunehmen und vor allem auch gemeinsam anzugehen.

Puttrich übermittelte die Grüße der Hessischen Landesregierung um zu zeigen, „dass wir mit Ihnen im Dialog standen und stehen und natürlich diesen Dialog auch weiterhin fortsetzen“. Sie fühle sich heute „hier wie zu Hause“, denn mein Vater war Malermeister. Daher kenne sie die Sorgen und Nöte eines Handwerksbetriebs sehr wohl, „weil auch ich mich mit verschiedenen Problemen herumgeplagt habe“.

Weil sie selbst erlebt habe, wie sehr ein Unternehmer nicht nur um Aufträge ringt, sondern auch seiner sozialen Verantwortung nachkommt, um seine Mitarbeiter zu beschäftigen, sei sie für die vielen Gespräche zwischen Politik und Wirtschaft dankbar, „denn wir haben die gemeinsame Aufgabe, dieses Land voranzubringen in einer Zeit, die schwierig ist“. Dazu sei gegenseitiges Verständnis ein wichtiger Aspekt.

Gerne griff Puttrich das vom Präsidenten angesprochene Thema „Bürokratie“ auf. Dass dieses zu einer Verunsicherung vor der Landtagswahl führe, „dazu trägt schon ein Stück weit die gegenwärtige Bundesregierung bei“. Wenn man aufgrund unterschiedlicher Signale nicht wisse, was am Ende dabei rauskomme, „ist das nicht so richtig gut“. Gehe Vertrauen in die Zukunft verloren, tätige ein Betrieb keine Investitionen.

Was die Ausbildung betreffe sei es keine Frage, „dass wir Fachkräfte brauchen“. Deshalb sei es wichtig, junge motivierte Leute auch in Berufe oder Berufsbilder hineinzuführen, die sie nicht kennen oder von denen sie ein falsches Bild haben. Deshalb sei sie der Kammer für ihre verschiedenen Ausbildungsinitiativen sehr dankbar, „denn Handwerk hat goldenen Boden“.

Dr. Becher lobte die gute Zusammenarbeit mit der Kammer und wies auf die Sozialarbeit in der Landeshauptstadt hin, die jungen Leuten eine erste Orientierung zur Gestaltung ihres Lebens ermöglichen soll. Als weiteres Thema nannte sie den Sozialen Wohnungsbau und teilte mit, dass die Stadt den Bau eines Wohnheims für Auszubildende plant.

Master und Meister

Hauptgeschäftsführer Bernhard Mundschenk wies in seinem Schlusswort darauf hin, dass Handwerks- und Mittelstandsfreundlichkeit dringender als je zuvor ist. In der Bundespolitik werde jedoch nur von Entlastungen und Hilfen gesprochen. Als Beispiel nannte er den auf die Industrie beschränkten billigeren Strompreis, „bei dem große Teile des Mittelstandes und des Handwerks außen vor bleiben“.

Deshalb müsse der Mittelstand als das Rückgrat der Wirtschaft, aber auch der Gesellschaft, wieder vom Rand in das Zentrum der Politik gerückt werden. Für die wichtigen Themen „Fachkräftesicherung“ und „Betriebsnachfolge“ heiße das Betriebsorientierung auch in den Gymnasien anzubieten, die Schaffung von Azubi-Heimen sowie Master und Meister auch bei der finanziellen Unterstützung auf eine Stufe zu stellen.

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